Während in Europa fast überall dreiphasige Netze üblich sind, gibt es in Nordamerika eine große Vielfalt an unterschiedlichen Netzformen und Spannungen. Sowohl die amerikanischen Netzspannungen, als auch die Netzform hat Einfluss auf die Auswahl und den Einsatz der Schalt- und Schutzgeräte.
Laden Sie sich unser Whitepaper über Verteilungsnetze in Nordamerika herunter
Während man in der IEC-Welt einheitlich mit dem Begriff der Betriebsspannung (vergleichbar in Amerika: Nominal System Voltage oder Rated Voltage) arbeitet, unterscheidet man in Nordamerika zwischen unterschiedlich benannten Spannungen:
Die Service Voltage ist die Spannung im Versorgungsnetz. Ihre Toleranzen sind insbesondere am Übergabepunkt der Leitungen der Stromversorgungsunternehmen zu den Leitungen des Endverbrauchers, also am Hausanschlusskasten (point of connection, point of common coupling), einzuhalten. Die tatsächliche Service Voltage liegt normalerweise zwischen 95 ... 105 % ihrer Nominalspannung.
Die Utilization Voltage ist die Spannung im Verbrauchernetz, insbesondere die wirksame Spannung am Anschlusspunkt des Betriebsmittels. Die Utilization Voltage darf im ungünstigsten Fall zwischen 87 ... 106 % der Nennspannung schwanken. Die Differenz zwischen der minimalen Service Voltage und der minimalen Utilization Voltage ist der zulässige Wert des Spannungsfalls (Voltage drop) innerhalb der Verbraucheranlage.
Bei den Toleranzen beider Spannungen unterscheidet man jeweils zwischen einem idealen Level (Range A) und einem noch tolerierbaren Level (Range B). Genauere Definitionen dazu finden sich in der ANSI C84.1, der nationalen Norm für Spannungstoleranzen in Nordamerika. Hier sind Nennspannungen und Betriebstoleranzen für 60-Hz-Elektrizitätssysteme zwischen 100 Volt 1.200 kV festgelegt. Das American National Standards Institute - ANSI - fördert und koordiniert das freiwillige Normen- und Konformitätsbewertungssystem der USA. Die kanadische Entsprechung der US-amerikanischen Norm ist die CSA CAN3-C235-83.
Erhalten Sie Infos zu jedem wichtigen Blogbeitrag oder neue Informationen, die Eaton für Maschinen- und Anlagenbauer veröffentlicht.
Auch in Nordamerika ist es üblich, bei Motoren und bei den Schalt- und Schutzgeräten für Motoren auf dem Leistungsschild die Bemessungsspannung anzugeben, für die diese Betriebsmittel dimensioniert wurden (Betriebsmittelspannungen für Elektromotoren sind im Standard NEMA MG1 und im NEC definiert).
Die Bemessungsspannung wird bei Motoren Nameplate Voltage genannt. Diese Spannung stimmt aber nicht mit der nominalen Netzspannung überein. An ein 480 V Netz wird z.B. ein für 460 V gewickelter Motor angeschlossen. Die Nameplate Voltage entspricht in etwa der minimalen Service Voltage und sie berücksichtigt, dass diese motorischen Betriebsmittel fast nie mit der Nominal-Spannung des Netzes betrieben werden. So lassen sich die Betriebsströme für die Einstellung der Schutzgeräte genauer bestimmen und die zulässigen Spannungstoleranzen der Motoren besser ausnutzen. In den Katalogen der Schaltgerätehersteller und auf den Leistungsschildern von Schalt- und Schutzgeräten werden uneinheitlich entweder die Nameplate Voltage (einfacher für den Anwender) oder die nominale Systemspannung (Netzspannung) angegeben.
Die nordamerikanischen Netze sind meistens weicher als europäische Netze, da die Transformatoren häufig eine höhere Kurzschlussspannung von bis zu 7 % besitzen. Bei Berechnungen für größere Verbrauchsanlagen sollte die abweichende Kurzschlussspannung bei der Kurzschlussstromberechnung berücksichtigt werden. Bei einer höheren Kurzschlussspannung des Leistungstransformators ist der maximale Kurzschlussstrom, den er bereitstellt, geringer als bei kleinen Kurzschlussspannungen. Im IEC-Bereich findet man in Kurzschlussstromtabellen für Transformatoren üblicherweise nur die Kurzschlussströme, die die Transformatoren auf der Sekundärseite bereitstellen. In amerikanischen Tabellen werden z.T. höhere Ströme angegeben, da zusätzlich Anteile der Rückspeiseströme von Motoren berücksichtigt werden, die ebenfalls vom kurzgeschlossenen Netz gespeist werden.
Auch hinsichtlich der nord-amerikanischen Netzformen und ihrer Frequenz gibt es teilweise deutlich Unterschiede zu den in Europa bekannten. Die Netzformen in den USA können die Einsatzmöglichkeit verschiedener Schutzmaßnahmen gegen elektrischen Schlag ausschließen und sie entscheiden, ob überhaupt ein Neutralleiter im Netz zur Verfügung steht und ob dieser geerdet oder ungeerdet ist.
Dem TN-S-Netz der IEC-Welt sehr ähnlich ist das mittelpunktgeerdete Stern-Netz „3 Phase Wye“. Hier werden Spannungen von 277/480 V in den USA und 347/600 V in Kanada genutzt.
Daneben gibt es phasengeerdete Dreiecksnetze – eine derartige Netzform ist in Europa in Verteilnetzen unbekannt. Dieses Netz verfügt über keinen Neutralleiter, die Netzspannungen sind 480 V in USA und 600 V in Kanada. Diese Netzform wird in zwei Varianten genutzt: Bei einem „Ungrounded Delta“-Netz ist der Transformator sekundärseitig nicht geerdet. Beim „Corner-Grounded Delta“ ist dagegen ein Außenleiter direkt geerdet.
Im Bereich der Industriemaschinen sind vor allem die Netzformen „3-phase Wye“ und „Delta“ relevant.
Bei Haushalten und in kleinen Bürogebäuden ist in Nordamerika zudem fast immer ein „Split-Phase“-Netz zu finden. Der Name „Split Phase“ resultiert daraus, dass die Mittenanzapfung einer Transformatorwicklung geerdet ist – damit ist die Spannung zwischen ihr und einer Phase exakt nur halb so groß wie die Spannung zwischen den Phasen. In dieser Netzform beträgt die Spannung 120 V oder 240 V.
Bei der Netzform „High-Leg Delta“ handelt es sich um eine Mischform aus „Delta“ und „Split-Phase“. Dadurch kann dieses Netz drei Spannungen zur Verfügung stellen: 120 V, 208 V und 240 V. Zum Einsatz kommt das „High-Leg Delta“ vor allem in großen Bürogebäuden und kleineren Industriegebäuden.
In den USA werden überwiegend Netzspannungen bis 480 V 60 Hz genutzt und in Kanada trifft man auf Netzspannungen bis 600 V 60 Hz. Für den Maschinen-Exporteur stellt zudem die Ermittlung der Netzform am Betriebsort oft ein großes Problem dar.
Für den Export von elektrischen Anlagen und Ausrüstungen kann es daher sinnvoll sein, sich durch den Einbau eines Eingangstransformators in die Schaltanlage von dem Vorhandensein eines Neutralleiters im örtlichen Netz unabhängig zu machen. Dann kann man Einphasen-Betriebsmittel an einem eigenen Einphasennetz mit Neutralleiter anschließen. Auch bei der Auswahl von Schalt- und Schutzgeräten für Drehstrombetriebsmittel ist zu beachten, dass Schalt- und Schutzgeräte, die nach IEC oder EN konstruiert wurden, aufgrund ihrer Luft- und Kriechstrecken z.T. nur für den Einsatz in starr geerdeten Netzen mit oder ohne Neutralleiter approbiert sind.
Wenn man wegen der Netzform unsicher ist, muss man Alternativen nutzen, die auch in Dreieck-Netzen an der vollen Spannung betrieben werden können. Wenn die Einschränkung nur wenige Geräte betrifft, kann man zum Beispiel:
Wer Geräte, Maschinen oder Anlagen in die USA oder nach Kanada exportieren will, muss sich mit den dort vorhandenen Netzformen und Netzspannungen auseinandersetzen, denn sie unterscheiden sich teils erheblich von den europäischen Netzen. Nur dann kann das zuverlässige Funktionieren gewährleistet und den dort geltenden Normen und Standards entsprochen werden. Wenn sich die Netzform nicht klären lässt, wird empfohlen, im Angebot für eine Maschine oder Anlage deutlich darauf hinzuweisen, dass sie für ein starr geerdetes Sternnetz, z.B. 480 Y / 277 V geliefert wird.
Da nicht alle Schalt- und Schutzgeräte für die hohe Spannung 600 V zur Verfügung stehen, empfiehlt sich zudem häufig der Einsatz von Eingangstransformatoren. Ausführliche Informationen zu der Thematik liefert auch das Whitepaper „Exportrelevante Spannungsangaben und Netzformen in Nordamerika“ von Eaton.
Registrieren Sie sich, um über Neuigkeiten, Produkt-Updates und Branchentrends auf dem Laufenden zu bleiben.
Abonnieren Sie unseren Newsletter für Maschinen- und Anlagenbauer. Bleiben Sie in Verbindung mit uns um Informationen über Änderungen von Richtlinien sowie neuen Technologien und Dienstleistungen zu erhalten.